Die Marienkapelle
Landshuter Zeitung: Samstag, 31. Oktober 2020
Von Mathias Baumgartner
Sonnenlicht und Rosenblüte
Der Künstler Mario Schoßer hat zwei Fenster für die Kirche St. Wolfgang in Landshut gestaltet
Glasfenster in Kirchen ziehen die Menschen an – dies zeigt sich seit Kurzem in Tholey im Saarland, wo seit der Wiedereröffnung der dortigen Benediktinerabteikirche vor sechs Wochen, Corona zum Trotz, ein nicht enden wollender Besucherstrom die neuen Chorfenster des weltberühmten Künstlers Gerhard Richter bestaunen möchte. Doch ist dieses Phänomen nicht neu: Seit vielen Jahren erlangt für Sakralbauten geschaffene Glaskunst Popularität, vor allem, wenn sie von internationalen Künstlern kreiert wurde man denke etwa an die Chagall-Fenster von St. Stephan in Mainz oder an Imi Knoebels Fenster in der Kathedrale von Reims.
Landshut ist an zeitgenössischer sakraler Glasmalerei eher arm hervorzuheben wären Tobias Kammerers Fenster in der Ursulakapelle von St. Martin (2004) und Sieger Köders Fensterzyklus der (bereits zum Nachbarort Ergolding gehörenden) Piflaser Johanneskirche (1995-1999). Ab diesem Wochenende gibt es nun zwei neue Fensterkompositionen in einer Kirche zu entdecken. Geschaffen hat sie der in Aukam bei Geisenhausen (Landkreis Landshut) beheimatete Künstler Mario Schoßer.
Aufwertung eines Andachtsraums.
Wer in Landshut die Bahnhofsüberführung stadtauswärts überquert oder am Hauptbahnhof auf einen Zug wartet, dem rückt der gut 40 Meter hohe Turm der Wolfgangskirche fast unweigerlich ins Blickfeld. Nach Süden zu öffnet sich der helle und weite Saalraum des 1956/57 errichteten Gotteshauses in einen niedrigen Anbau, der ursprünglich als Kriegergedächtniskapelle konzipiert war; der langjährige Stadtpfarrer und Initiator des Kirchenbaus, Prälat Otto Schweiger, liegt hier begraben.
1994/95 wurde im Zuge der liturgischen Neugestaltung eine von Karl Reidel aus Bronze gegossene Marienfigur aufgestellt (die Maria mit dem Jesuskind als Königin und Mutter der Barmherzigkeit vor Augen führt), seitdem ist die Kapelle zu einem Marienandachtsort geworden, der seitlich, von Osten und Westen, durch je sechs schmale, die gesamte Raumhöhe einnehmende Rechteckfenster belichtet wird.
Für die jüngste, seit Mai durchgeführte Innenrenovierung beschloss die Kirchenverwaltung unter Vorsitz von Stadtpfarrer Wolfgang Hierl auf Vorschlag des federführenden Planungsbüros Nadler – Sperk – Reif (das zuvor auch die Renovierungen der Landshuter Pfarrkirchen Neu-St.-Nikola und St. Pius betreut hatte), diesem Verehrungsort Mariens ein neues Gesicht zu verleihen.
Nachdem die erste Idee, hierher den Tabernakel zu versetzen und so dem Raum die Funktion einer Sakramentskapelle zu geben, vom Bischöflichen Ordinariat Regensburg abgelehnt worden war, fiel die Entscheidung, die Marienkapelle gestalterisch aufzuwerten und die bislang blankverglasten Fenster künstlerisch gestalten zu lassen.
Mario Schoßer – der Künstler.
Bald gelangte man zu dem Entschluss, den weit über Niederbayern hinaus bekannten und geschätzten Mario Schoßer mit dieser Aufgabe zu betrauen.
Schoßer, 1953 in Kröhstorf im Vilstal geboren, studierte Kunsterziehung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und schuf zunächst vor allem Illustrationen für Gedicht- und Lyrikbände verschiedener Autoren, darunter Reiner Kunze und Harald Grill.
Neben einer reichen Ausstellungstätigkeit und nach ersten Arbeiten im skulpturalen Bereich (Keramik und Bildhauerei) wandte er sich zunehmend der (Glas-)Malerei zu, zunächst im Profanbau, wie etwa für Kindergärten, später aber auch für Kirchen, so erstmals in der Kapelle Neuhaus bei Nittenau, für die er acht Fenster mit Stationen aus dem Leben Eustachius Kuglers gestaltete. Dessen Seligsprechung führte zu einigen Folgeaufträgen der Ordensgemeinschaft der Barmherzigen Brüder, zu denen auch das Hauptwerk Schoßers auf dem Gebiet der Glasmalerei gehört: Die sich über eine Fläche von 285 Quadratmetern erstreckende Verglasung der 2008/09 erbauten Johannes-von-Gott-Kirche in Straubing lässt jenes Gotteshaus nicht nur zu einem «Licht-Raum», sondern gleichsam zu einem kostbaren, bei Dunkelheit nach außen leuchtenden Schrein werden.
Mario Schoßer arbeitet bei der Ausführung seiner glasmalerischen Werke gerne mit der Mayer’schen Hofkunstanstalt in München zusammen, wo auch die Fenster für St. Wolfgang aus Floatglas realisiert wurden. Der Künstler bemalte die Scheiben vollflächig, um durch die erreichte Blickdichtheit eine ablenkungsfreie Andacht zu ermöglichen. Hierzu verwendete er Schmelzfarben, die nach dem Auftragen mit Schwamm und Pinsel bearbeitet und bei 820 Grad Celsius in das Glas eingebrannt wurden.
Licht von Christus – die Fenster der Ostseite.
Die abstrakten, daher Interpretationsspielraum zulassenden Kompositionen erstrecken sich über die je sechs Fensteröffnungen zu beiden Seiten der Kapelle, sodass sich ein etwa neun Quadratmeter großes Motiv im Osten und Westen ergibt. Auf der Ostseite dominiert die Farbe Gelb als Symbol des Sonnenlichts, das machtvoll hervorbricht und die mit dunklem Blau angedeutete Finsternis verdrängt.
Entgegen dem oberen, «himmlischen» Bereich vermag man in der unteren Hälfte Kreaturen – sowohl Pflanzen als auch Menschen und Tiere – zu erkennen, die sich kreisförmig ballen, als würden sie die Erde bevölkern, weshalb dem Betrachter hier eine Stelle aus dem Exsultet, jenem Hymnus, der bei der Lichtfeier zu Beginn der Osternacht vorgetragen wird, in den Sinn kommt: «Lobsinge, du Erde, überstrahlt vom Glanz aus der Höhe! Licht des großen Königs umleuchtet dich. Siehe, geschwunden ist allerorten das Dunkel.»
Schon seit alters her wird die im Osten aufgehende Sonne als Symbol für die Auferstehung Christi angesehen, der nach Joh 8,12 das Licht der Welt ist und jeden, der ihm nachfolgt, am Licht des Lebens teilhaben lässt. Dazu passt auch, dass in der Komposition zwischen Licht und Dunkel violette Streifen erkennbar sind, die man als Morgenröte interpretieren könnte, aus deren griechischer Bezeichnung «aurora» sich im Laufe der Zeit das Wort «Ostern» entwickelt hat.
Geheimnisvolle Rose – die Fenster der Westseite.
Feurige Farben, zu einer kreisförmigen Fläche arrangiert, füllen die Fenster der Westseite nahezu komplett aus. Man sieht ein tiefes Rot, das nach außen hin an Helligkeit zunimmt. Eine mächtige Rose ist aufgeblüht bewirkt durch das Licht der Welt aus den gegenüberliegenden Fenstern, das an den Rändern hier erneut aufscheint.
Doch handelt es sich nicht um irgendeine Rose: Gemäß einer der Anrufungen aus der Lauretanischen Litanei wird die Geheimnisvolle Rose, ein Sinnbild der Liebe, als uraltes (schon seit dem Dichter Sedulius im 5. Jahrhundert belegtes) Symbol für Maria wiedergegeben, womit der Künstler an die Tradition der vornehmlich in den Westfassaden gotischer Kathedralen (aber auch in St. Wolfgang als Rosette, also «kleine Rose», hinter der Orgel) vorkommenden Rosenfenster anknüpfen möchte.
Die dunkelrote Färbung der Rose verweist auf das von der göttlichen Liebe zur Erlösung der Menschheit vergossene Blut Christi. Damit spannt sich der Bogen zur Mutter der Barmherzigkeit, welche in der Bronzeskulptur von Karl Reidel verkörpert ist, und die jetzt von einer vergoldeten, das Sonnenlicht symbolisierenden Messingscheibe hinterfangen wird, die weit in den Kirchenraum ausstrahlt.
So ist in St. Wolfgang in Landshut dank Mario Schoßer – aber auch dank der Kirchenverwaltung, die mit der abstrakten Gestaltung eine mutige Entscheidung getroffen hat – eine ganz besondere Atmosphäre, ja ein heimeliger Raum entstanden, der mit seinem durch die neuen Fenster erzeugten Farbenspiel zu Meditation, Andacht und Gebet einlädt.
Fotos: Marienkapelle, Harry Zdera – Künstler, Uwe Niklas